Ich fuhr hoch, sodass ich gerade im Bett saß. Meine Finger krallten sich in das Bettlaken. Panisch und schweißgebadet sah ich mich um. War das gestern vielleicht alles nur ein Apltraum gewesen? Wenn ja, dann war ich heilfroh, aber wenn nicht, würde ich wahrscheinlich so laut schreien, dass sich jeder Tote vor Schreck im Grab umdrehte. Da ich aber im Moment nicht fähig war, von Realität und Traum zu unterscheiden, entschied ich mich zu beruhigen, da mein Herz mir immer noch bis zum Hals schlug. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Ich schrie auf und fiel seitlich vom Bett runter. Dennoch rappelte ich mich sofort auf und starrte meinen Vater an, der geschockt in der Tür stand. Erleichtert atmete ich aus, doch mein Herz blieb schon wieder fast stehen, als sich sein Gesichtsausdruck von erschrocken über besorgt bis hin zu wütend und ernst verwandelte.
,,Stell den verdammten Wecker aus und komm dann runter. Es gibt Frühstück!", meinte er jetzt etwas zornig und knallte die Tür hinter sich zu, als er mein Zimmer verließ. Verwirrt sah ich mich um. Mein Wecker? Ich sah zu meinem Nachttisch neben meinem Bett und sah dort ein schrillendes, kleines schwarzes Etwas stehen, was sich als mein Wecker entpuppte. Ich beugte mich über mein Bett und schlug so doll auf meinen Wecker, dass er vom Tisch fiel. Ich stellte mich wieder auf und spürte den Luftzug des Fensters im Rücken. Ich versteifte mich. Das Fenster war doch eigentlich zu, oder irrte ich mich? Ich drehte mich zum Fenster um, doch da war niemand! Erleichtert seuftzte ich, schloss das Fenster und lies mich an der Wand hinabsinken. Ich zog die Knie an, stützte meinen rechten Ellenbogen auf mein Knie und legte den linken Arm auf beide Knie. Ich zitterte etwas. Vor Angst! Den Kopf stützte ich auf meine rechte Hand und sah zur Tür.
Ich wartete nur darauf, dass mein Dad oder Amanda wütend reinkamen und mich aus irgendeinem banalen Grund anschrien. Vielleicht würden auch die Männer von gestern Abend kommen, die etwas von meinemm Herzen gesagt hatten oder der Mann, der mich mit seiner Stimme praktisch in den Bann gezogen hatte. Moment, dachte ich wirklich, dass das gestern alles passiert war? Das war doch unmöglich. Ich war fremd in dieser großen Stadt und konnte somit keine Feinde haben, oder doch? Unwissend nagte ich auf meiner Unterlippe und entschied mich erstmal aufzustehen und frühstücken zu gehen.
,,JULIETTE!", schrie mein Vater von unten und ich verdrehte die Augen. Was war nur mit ihm auf einmal los? Ich hatte doch nichts unrechtes getan! Während meine Gedanken um all die merkwürdigen Träume und Ereignisse kreisten, ging ich zum Kleiderschrank und holte eine schwarze mittellange Jogginghose hervor.
Mir stockte der Atem als ich einen Blick in den Kleiderschrank warf. Es war schon alles eingeräumt, dabei war ich doch gestern gar nicht da! Leicht schüttelte ich meinen Kopf, um den Gedanken daran, dass jemand in meinen Klamotten gewühlt hatte, abzuschütteln. Ich ging aus dem Zimmer. Die Sonne schien durch die großen Fenster der unteren Etage auf die Treppe und in den Flur. Unten in der Küche saßen Amanda und mein Dad am Tisch und unterhielten sich leise. Mein Vater funkelte mich an, als er mich sah und konzentrierte sich schließlich wieder auf Amanda.
,,Morgen!", sagte diese freundlich und drehte sich zu mir um. Ich zog nur eine verächtliche Grimasse und setzte mich gegenüber von meinen Vater auf einen Hocker. Er hielt mir einen Korb mit Brötchen hin und ich nahm mir eins. Ich schnitt es auf und schluckte schwer. ,,Dad?", murmelte ich und sah ihn an. Stirn runzelnd beobachtete er mich und nickte als Zeichen, dass er gehört hatte.
,,Was ist gestern Abend passiert?", kam es mir so leicht über die Lippen, als wäre es normal, dass ich jeden Morgen vergaß, was am Vorabend geschah. Er presste die Lippen aufeinander und in Gedanken sah ich schon den Rauch, der eigentlich vor Eifersucht dasein sollte, aus seinen Ohren dringen. Amanda nahm seine Hand, die auf dem Tisch lag, in ihre und drückte sanft zu. ,,Beruhige dich, Schatz!", sagte sie mit ihrem ach so bezauberndem Lächeln und ihrer hellen Stimme. Jetzt wäre beinahe ich ausgeflippt, als sie meinen Vater mit 'Schatz' bezeichnete. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass mein Vater eine neue Freundin hatte und das ein Jahr nach dem tragischen Busunglück meiner Mutter. Nun kam mein Dad wieder etwas zur Besinnung. Schlagartig wurde mir bewusst, dass sich nun sein ganzer Ärger auf mich entladen würde. Der ganze Ärger, der sich seit dem Tod einer Mutter angestaut hatte.
,,Willst du mich vielleicht verarschen?", fuhr er mich an, ,,Hast du gestern Abend getrunken?" Er sah mich eindringlich an, und ich öffnete meinen Mund um etwas zu sagen, doch er sprach einfach weiter: ,,Juliette! Alokohol ist für dich in deinem Alter verboten! Und wenn ich dich noch einmal erwische, dass du getrunken hast, dann.." Ich unterbrach ihn. ,,Dad, ich habe nicht getrunken! Noch nie in meinem Leben!" Ich stand auf und sah direkt in sein überraschtes Gesicht. Der Ärger schien verfolgen und ich wollte einfach nur noch hier raus.
,,Übrigens: Ich hab gestern noch deine Sachen aus deinen Koffern in deinen Schrank geräumt!", sagte Amanda lächelnd und ich sah sie an. Ein leises 'Danke' kam mir über die Lippen, auch wenn etwas schwerfällig, was aber daran lag, dass ich gerade meinen eigenen Vater angeschrien hatte. Insgeheim war ich sogar froh, dass Amanda meine Klamotten durchwühlt hatte und nicht irgendein Fremder. Und schon wieder ertappt! Verdammt! Warum dachte ich, sei mein Traum von letzter Nacht so real gewesen? Vielleicht war er das ja? Ach, das konnte gar nicht sein!
,,Die Handwerker waren gestern da und haben dein Bad fertig gemacht! Du kannst jetzt oben duschen und baden gehen!", sagte mein Vater mit der ruhigsten Stimme, die mich zum kochen brachte. Eben hatten wir uns gestritten, und jetzt war wieder alles gut? Nagut, ich hatte ihm die Wahrheit über meinen Alkoholkonsum gesagt und er glaubte mir und schwubbs, war meine Wut weg. Ich nickte nur und ging nach oben. Mich verlies einfach der Mut jetzte meinem Vater in die Augen zu sehen und zu reden. Um mich abzureagieren, ging ich erstmal duschen. Der Morgen an sich war schon anstrengend und geheimnissvoll.
Da die Schule am Donnerstag anfing, musste ich mir noch einige Schulsachen besorgen. Was ich mir heute auch vornahm! Das würde mich auf andere Gedanken bringen und mir die Zeit geben ein paar Leute kennenzulernen. Als ich aus dem Bad trat, welches zum Glück direkt an meinem Schlafzimmer angrenzte, war es angenehm kühl in meinem Zimmer. Ich hatte mir ein Handtuch umgewickelt und meine Haare etwas geföhnt, sodas sie am Ansatz trocken und ihre natürlich Haarfarbe zum Vorschein kam, aber an den Spitzen war sie nass und von einem dunklen Braun überzogen. So fand ich meine Haare schon schön, aber damals hatte meine Mum noch rumgemeckert, dass ich krank werde, wenn ich mit nassen Haaren rausging. Ich schmunzelte. Ja, meine Mutter war schon etwas besonders. Wir hatten uns immer gut verstanden, auch als ich in die Pubertät kam stand sie mir bei absurden Sachen zur Seite, bei denen mein Vater nur den Kopf geschüttelt hatte. Wir hatten eben unsere eigene Sprache.
Mittlerweile saß ich auf meinem Bett, den Blick zum Fenster, nein, eher auf den Boden gerichtet. Eine Silhouette am Fenster lies mich aufsehen. Die Gardinen wehten in der frischen Morgenbrise. Meine Kinnlade klappte herunter und ich stand hastig auf, um zur Tür zu gelangen. Ich versuchte sie zu öffnen, doch sie war verschlossen. Das war auf eine Weise gut, denn ich hatte sie abgschlossen, damit auch niemand reinkam, aber der Grund, warum die Nervosität und die Angst so an mir nagten war, dass da Fenster geschlossen war, als ich ins Bad ging, aber nun war es offen. Ich ging mit zitternden Fingern zum Fenster und streckte meinen Kopf raus. Da unten wimmelte es nur so von Leuten und hupenden Autos, die die Straße entlangrasten.
Ich spürte einen Blick auf mir. Wieder packte mich diese Angst. Die Angst vor der großen fremden Stadt. Vor den vielen fremden Leuten und den vielen Menschen, die mir etwas antun könnten. Doch wahrscheinlich bildete ich mir diesen Blick nur ein, da mir der Alptraum von letzter Nacht noch ziemlich in den Knochen steckte. Was ein entscheidender grober Fehler war, da sich im nächsten Moment auch schon eine Hand auf meinen Mund legte. Es war wieder diese Hand aus meinem Traum. Das erkannte ich am Geruch. Sie roch nach zu viel Parfüm, wahrscheinlich um den Zigarettengeruch zu überdecken, der aber an seinen Finger zu kleben schien. Als seine andere Hand an meinem Kopf vorbei zum Fenster griff, zuckte ich zusammen. Ich spürte jetzt, dass das gestern doch nicht alles nur ein Traum war, sondern diese verdammt bittere Realität. Er schloss das Fenster und zog die Gardinen mit einer Hand zu.
Ich hörte wieder diese zwei Stimmen von gestern Abend. Sie waren so nah, als würden sie eine Zigarettenpause vor meinem Fenster machen. Doch dann erkennte ich den Ernst der Lage und strampelte wie wild mit meinen Beinen, während ich etwas in seine Hand schrie. Erst dann fiel mir wieder ein, dass ich nur mit Handtuch bekleidet dastand.
,,Braves Mädchen!", raunte er mir ins Ohr, als ich stillhielt und er mich ins Badezimmer ziehen konnte. Diese Stimme fesselte mich so sehr, dass ich das überhaupt nicht bekam und daher aus Schreck zusammenzuckte, als ich mich an der Wand sitzend im Badezimmer vorfand. Es war stockdunkel und ich tastete an der Wand rechts neben mir entlang, da ich mich selbst noch nicht so gut auskannte und ich erstmal wissen wollte, wo im Bad ich saß. Ich ertastete etwas hartes, beinahe so wie Metall, aber als ich mich weiter voran tastete, konnte ich Brustwarzen und Muskeln erkennen. Erschrocken über die Erkenntnis, dass ich gerade die Brust eines attraktiven Mannes befühlt hatte und er hatte nichts dagegen unternommen. Erschrocken zog ich meine Hand weg, als mir bewusst wurde, dass ich ihn am liebsten jeden Tag bei mir hätte. Am liebsten würde ich jeden Morgen neben ihm aufwachen, ohne den Abend zuvor Sex zu haben, nur um ihn am nächsten Morgen zu berühren.
,,Lass mich hier raus!", brachte ich gerade noch so zwischen gepressten Lippen hervor und bekam dafür nur ein herzhaftes Lachen. Es ging mir durch Mark und Bein, aber ich lies mir nichts anmerken. Doch als er verstummte, wurde mir fast übel vor Angst. Ich fing an zu weinen und wieder legte er seine Hand auf meinen Mund. ,,Sscht.. Sei ja still. Juliette!" Seine Stimme klang so unglaublich sexy und männlich. Oh stimmt.. Das hatte ich ja schonmal erwähnt! Ich konnte nur nicken und er schob mich aus dem Bad.
Ich spürte seine Lippen an meinem Hals. Sie waren weich und kühler als meine Lippen, aber es fühlte sie gut an. Leider drückte er seine Hand auf meinen Mund, als ich seuftzten wollte. Er hauchte mir ein ,,Wir sehen uns wieder!" ins Ohr und war dann spurlos verschwunden.